Junge Familien unter Druck

Die Zinsen sind wieder hoch und die Immobilienpreise sind immer noch hoch.

Die Kombination macht den Traum vom Immobilienbesitzer gerade für junge Familien zunichte. Auch für viele gutverdienende Paare mit Kindern ist der Traum vom eigenen Häuschen zerplatzt. Als junge Akademiker haben sie nach dem Studium zu wenige Jahre in gutbezahlten Jobs gearbeitet, um anständig Eigenkapital zusammen zu sparen. Dann kamen die Kinder, womit ein Verdienst wegfiel und von der darauffolgenden Teilzeitstelle geht ein Großteil für die Kinderbetreuung drauf. Eigenkapital bilden? Nicht wirklich möglich. Immobilie kaufen ohne Eigenkapital? Nicht gerne gesehen. Erst sind die Immobilienpreise unaufhaltsam geklettert (was immer mehr Eigenkapital erfordert) und jetzt treiben die Zinsen die Kreditraten in unerschwingliche Höhen.

Die eigene Immobilie als Statussymbol, es geschafft zu haben. Gleichziehen mit den Eltern und endlich ernst genommen werden.

Sie wollen an den Wohlstand der Eltern anknüpfen. Sie wollen sich und den Eltern zeigen, dass sie es geschafft haben. Sie wollen so gerne beweisen, dass sich alles gelohnt hat: Der Verzicht der Eltern auf den Safariurlaub, um das Studium zu finanzieren. Oder die vielen Jahre Bafög-Rückzahlung. 10 Jahre Schattenwurf, unter dem die beginnende Karriere gelitten hat und wo vom Nettogehalt nicht die lang und heiß ersehnten Sprünge möglich waren. Weil da eben noch der Kredit im Nacken saß und zurückgezahlt werden wollte.

Das Statussymbol „Immobilienbesitzer“ hat einen Selbstvertrauen vernichtenden Gegenspieler: den „Nichtimmobilienbesitzer“.

Wann ist ein Mann ein Mann?

Deutscher zu sein ohne Häuschen, fühlt sich an wie ein Windbeutel. Süß und glitschig. Nicht das passende Klischee für einen Kerl. Ein Deutscher ohne Immobilie hat keinen Charakter? Er kann die Arschbacken nicht genug zusammenkneifen? Er kann nicht sparen, sich nicht mit Geld organisieren. Er verdient zu wenig, oder kann sich nicht verkaufen, aus ihm ist nichts geworden? Er schafft es nicht, seiner Familie ein sicheres Dach über dem Kopf zu geben?

Ein Dach über den Kopf geben hat wenig mit Ziegelpfannen zu tun. Hier geht es um innere Werte.

Der Familie ein eigenes Dach über den Kopf zu geben ist mehr als Symbolik. In der eigenen Immobilie zu leben heißt, nicht von anderen bestimmt zu werden. Selbst ist der Mann und die Frau. Es kann getan und gehämmert werden wann und wie lange man möchte. Wegen Eigenbedarf von anderen verscheucht zu werden? Pustekuchen. Es bedeutet, Hand anlegen zu können im Garten, an den Wänden, am Fußboden, an den Möbeln, zu zeigen “man” kann etwas auf die Beine stellen und jeder sieht es. Und dann die Werkstatt: Die in Reih und Glied in der Garage hängende Schraubenziehersammlung zeugt von Willens-, Mannes- und Muskelkraft. Sie schreit förmlich “nimm mich” und “sieh mich an, ich bin stark”. Stark sein - beschützen können - der Immobilienbesitzer, bedient er nicht lässig alle Klischees von Beschützertum und Wohlstand? Die Immobilie ist sichtbarer Ausdruck von Wohlstand und heiler Welt. Hier stimmt`s. Hier wird regelmäßig gekehrt (zumindest wenn’s Häusle in Baden-Württemberg steht) und hier sitzen alle zusammen an einem Tisch. Soweit die romantische Verklärung.

Der Erwartungsdruck - vor allem sich selbst gegenüber - ist enorm.

DAS wird natürlich keiner sagen. Aber der, vielleicht wirklich selbstgemachte, Erwartungsdruck lastet schwer auf den Schultern der jungen Männer (und Frauen).

Wer dann noch Freunde hat, die Eigenkapital von den Eltern oder Schwiegereltern vorgestreckt oder zugesteckt bekommen haben und damit den Traum vom Eigenheim (egal, ob in einer strukturschwachen Gegend) verwirklicht haben, der fühlt sich regelrecht als Versager.

Aufwachen, aus einem vorläufig zu Ende geträumten Doppelhäuschen mit Füßevertretungsplatz, ist schmerzlich.

Das Glück liegt nicht darin, sich ein (Arbeits-)Leben lang krummzulegen und sich jeden Spaß zu verkneifen, nur um eine eigens bezahlte Mülltonne vors (energetisch miserable) Reihenhaus aus den 60igern zu karren. Glück erlebt, wer mit dem was möglich ist zufrieden ist und aus seiner Sicht, das Beste herausholen und genießen kann.

Dabei gilt die eigengenutzte Immobilie unter Fachleuten nicht einmal als Altersvorsorge!

Zu viele Quadratmeter die dauernd Instand gehalten werden müssen und zu hohe Nebenkosten - für leerstehende Kinderzimmer und vollgerümpelte Familienkeller. Die zum Rentenbeginn wegfallenden Kreditraten fürs Eigenheim taugen nur aus Laiensicht als Altersvorsorge. Tatsächlich sind im Eigenheim erheblich höhere Nebenkosten (weil größer als benötigt) zu berappen und dauerhaft Rücklagen für Reparaturen und Instandhaltung zu berücksichtigen. Beides zusammen wird nicht zu unrecht auch als “zweite Miete” bezeichnet.

Als Immobilienbesitzerin erfüllt es mich natürlich durchaus mit Stolz wenn ich abends meine eigene Haustüre aufschließe. Wenn ich aber für die Reparatur selbst den Türbauer anlocken und bezahlen muss hat die Freude ihre Grenzen.

Eigentum verpflichtet.

Und ja, wenn alles stimmt, ist es auch ein schönes Gefühl.

Immobilie und Altersvorsorge? Bei vermietetem Immobilienbesitz kann man sicher sagen: Ja. Eine regelmäßige Mieteinnahme gilt als sinnvoller Teil gut diversifizierter Alterseinkünfte.

Die Miete aus einer vermieteten Wohnung kann die eigene Rente spürbar aufpeppen. Das muss kein Mehrfamilienhaus sein und auch keine Penthousewohnung. Auch aus einer Studentenbude fließt die Miete regelmäßig.

So klappts (vielleicht) trotzdem:

Spart den monatlichen Mehraufwand (Kreditrate für die Immo minus Kaltmiete). So „übt“ ihr, mit dem Immorate zurecht zu kommen und parallel seht ihr euer Geld kontinuierlich wachsen!

Später habt ihr entweder genügend Eigenkapital für die eigene Immobilie oder Vermögen für einen freien Lebensstil.

Wie geht’s euch damit?

Überstrahlt der Traum vom eigenen Haus den fehlenden Urlaub?

Oder bist du immer genervter wenn die anderen Familien von sagenhaften Ferien heimkommen?

Das Leben beginnt nicht mit einer Grundbucheintragung. Und es endet nicht mit einem Mietvertrag.

Selbstbezahlte Steine stehen für den einen für Sicherheit und Status. Für andere bedeuten sie Druck und fehlende Flexibilität bei ihrem Traum vom internationalen New Work an den verlockendsten Stränden der Welt.

Fragt euch und gebt euch ehrliche Antworten! Was wollt ihr wirklich? Wie viel Freiheit und Flexibilität braucht ihr, um euch wohlzufühlen, um euch zu entfalten.

Ins world wide web kommt man aus dem Ohrensessel vorm Kamin genauso wie aus dem Camper am Meer.


Cordula Vis-Paulus