procontra-online.de Betriebliche Vorsorge: Hier kümmert sich der Chef

Detlef Pohl, 5.10.2021 procontra-online.de

Fachkräftegewinnung ist für Arbeitgeber essenziell. Um Talente zu überzeugen, ist mehr als nur ein gutes Gehalt notwendig. Was Firmenchefs an zusätzlicher Vorsorge parat halten sollten und wie Makler dabei Schwerpunkte setzen können.

Geld ist nicht alles. Leistung kann auch durch Benefits wie Firmen-Smartphones oder Jobtickets anerkannt werden. Die Angebote werden immer vielfältiger.

Kreative Benefits gewinnen für die Mitarbeiterbindung zunehmend an Bedeutung. Die Studie „Benefits und Employer Branding“ der HR- und bAV-Lösungsanbieter Lurse von 2019, die alle drei Jahre aufgelegt wird, listet gefragte Zusatzleistungen auf. Das reicht vom Ladeplatz fürs Elektroauto über ein Netflix- oder ein Spotify-Abo und Bezahlung eines Personal-Trainers bis zum Hunde-Sitter, hat Studienautorin Elke Tausch, Senior Consultant bei Lurse, beobachtet. Befragt wurden 50 mittlere und Großunternehmen. Nahezu alle planen, ihr Benefit-Angebot auszubauen. „Die Kosten spielen in diesem Kontext eine eher untergeordnete Rolle“, so Tausch.

Für Arbeitnehmer sind laut einer Continentale-Studie die wichtigsten AG-Zusatzleistungen eine Betriebsrente (bAV), sagen 80 Prozent der über 600 Befragten, gefolgt von der betrieblichen Krankenversicherung (bKV), meinen 56 Prozent. „Die bKV genießt trotz ihrer bisher vergleichsweise geringen Verbreitung schon großes Ansehen“, sagt Helmut Hofmeier. „Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung würde eine bKV gerne nutzen, wenn sie Zugang dazu hätte“, so der Continentale-Vorstand.

Altersvorsorge, Kranken- und Pflegevorsorge über den Chef

Wie kann die betriebliche Alters-, Kranken- und Pflegevorsorge über den Chef dargestellt werden? Die Herausforderung: Die Auswahl ist riesig und freiwillige Sozialleistungen müssen finanzierbar sein. Daher zählt vor allem punktgenaue Förderung, die beiden Seiten zupasskommt.

Die bAV ist in großen Unternehmen weitestgehend etabliert, in KMU sind es mit 28 Prozent deutlich weniger Teilnehmer, ergab die Gothaer-KMU-Studie 2021. Unter den Benefits wie Dienstwagen, Kinderbetreuung oder Obstkorb hat die bAV eine Stellung als Sonderling inne: sperrig, kompliziert und im Gegensatz zu den anderen Benefits schmeckt sie erst Jahrzehnte später. „Dem Arbeitgeber nutzen glückliche Rentner nichts, eine Betriebsrente zeigt aber sein Interesse am Wohlergehen der Mitarbeiter“, sagt Versicherungsmaklerin und bAV-Consultant Cordula Vis-Paulus.

Was tatsächlich an AG-Zuschuss herauskommt, hängt auch vom Berater ab. Häufig fragten Arbeitgeber den Makler: Was machen denn die anderen Firmen? „Die Marktkenntnis kann für den Berater das Zünglein an der Waage sein“, so Vis-Paulus. In ihrer Stichprobe unter Berufskollegen kam kürzlich heraus, dass 75 Prozent der erfolgreichsten bAV-Makler eine Durchdringungsquote von über 50 Prozent in der jeweiligen Belegschaft schaffen. Fast neun von zehn meist kleinen Unternehmen bezuschussen die Entgeltumwandlung mit mehr als 20 Prozent.

Die Zahlen sind für KMU von großem Wert, findet die bAV-Expertin, denn repräsentative Daten zur bAV seien dort nicht bekannt. „Unternehmer haben durch diese Marktrecherche endlich Vergleichszahlen zum AG-Zuschuss ihrer Wettbewerber und können so gezielter Fachkräfte gewinnen“, sagt die Maklerin. So spendieren 45 Prozent der Firmen mit weniger als 50 Beschäftigten laut Stichprobe einen festen AG-Beitrag von durchschnittlich 76 Euro pro Monat. 90 Prozent geben im Schnitt 39 Prozent Zuschuss zur Entgeltumwandlung.

Erfolgreiche bAV-Makler verhandelten den höchsten AG-Zuschuss in KMU zuletzt mit schlagkräftigen Argumenten wie: Der Zuschuss bringt ein signifikant besseres Versorgungsniveau, bietet einen echten Recruiting-Vorteil, bedeutet Wertschätzung für Mitarbeiter bis ins Rentenalter, ist oft günstiger als eine Gehaltserhöhung, verbessert das Firmen- und Sozialimage. In jedem Fall gehören bestehende bAV-Vereinbarungen auf den Prüfstand, denn bei vielen Bestandsverträgen lässt sich mit dem AG-Zuschuss die Versicherungssumme gar nicht erhöhen.

Betriebliche Krankenversicherung im Kommen

Bei den Benefits erlebt die betriebliche Krankenversicherung (bKV) einen nie gekannten Aufschwung. Ende 2020 boten 13.500 Unternehmen und damit 29 Prozent mehr als 2019 insgesamt 1,04 Millionen Beschäftigten (+ 18 Prozent) eine bKV an, berichtete der PKV-Verband. Dennoch gibt es laut Gothaer-KMU-Studie eine bKV erst in jedem zehnten Betrieb. Die Rating-Agentur Assekurata erwartet Wachstum vor allem bei den sogenannten Budget-Tarifen. In der Vergangenheit hatten die Versicherer zumeist nur rabattierte Tarifbausteine einzelner Krankenzusatzpolicen offeriert. „Diese Angebote erfüllen nicht den AG-Bedarf nach reduzierten Fehlzeiten und schneller Wiederherstellung der Arbeitskraft“, sagt Assekurata-Geschäftsführer Reiner Will.

Anders bei Budget-Tarifen, die 2018 von der Halleschen in den Markt gebracht wurden: Da wählt die Firma für ihre Belegschaft ein „Gesundheitspaket“ in Kombination mit einer bestimmten Budgethöhe, die dem Mitarbeiter pro Jahr zur Verfügung steht. Je nach Belieben können die Angestellten medizinische Leistungen aus verschiedenen Bereichen in Anspruch nehmen. Dem Budget-Vorbild der Halleschen folgten weitere Krankenversicherer, etwa Allianz, Axa, Barmenia, Continentale, Generali, Gothaer, Hallesche, Hanse-Merkur und Süddeutsche.

Die Continentale bietet als bislang einzige am Markt sogar einen „Budget-Retter“. Das heißt: Werden keine Leistungen beansprucht, lassen sich im Tarif „ConCept Choose“ zehn Prozent des Budgets auf das nächste Jahr übertragen – und das bis zu fünf Jahre in Folge. Vorteil für den AG: Das investierte Geld geht bei Leistungsfreiheit des Arbeitnehmers nicht gänzlich verloren, sondern wird zumindest teilweise ins neue Jahr übertragen. Zudem entfällt der Druck für Arbeitnehmer, den Budgetrahmen jährlich auszuschöpfen. Die Budget-Tarife der Continentale liegen preislich im marktüblichen Rahmen. Dennoch wettert die Konkurrenz: Das sei ein völlig anderes Risiko und verlangt deutlich höhere Beiträge.

Bei der bKV ist noch viel Luft nach oben. Weniger als 0,5 Prozent der Firmen bieten diesen Benefit, von dem bislang nur rund drei Prozent aller Arbeitnehmer profitieren, schätzt Assekurata. „Vermutlich treibt die Sorge um zu viel Aufwand und zu hohe Kosten die KMU dazu, auf eine bAV oder bKV zu verzichten“, glaubt Oliver Brüß. Aber diese Sorge sei unbegründet. „Dank digitaler Verwaltung können auch kleinere Mittelständler eine bAV und bKV ohne großen Aufwand anbieten“, so der Vertriebsvorstand der Gothaer. Zusammen mit der Plattform ePension habe man eine kostenlose Portallösung geschaffen, die es Arbeitgebern erstmals ermöglicht, beide Produkte bequem gemeinsam digital zu verwalten.

Viele Vermittler stecken die bKV noch immer in die Schublade der PKV-Zusatztarife, die eventuell zu wenig an Courtage im Verhältnis zum Arbeitsaufwand bringen. „Ein Gesamtüberblick über die einzelnen Vergütungsmodelle der Gesellschaften fällt schwer“, sagt Versicherungsmakler und PKV-Experte Andreas Trautner. Das Spektrum reiche von klassischen Abschlusscourtagen wie bei Zusatztarifen über ausschließlich gezahlte laufende Courtage bis hin zu Mischmodellen, die eine kleinere Abschlusscourtage sowie eine dauerhaft laufende und höhere Bestandscourtage beinhalten, die auch im zweistelligen Bereich liegen kann.

Betriebliche Pflege als neuer Benefit

Ein relatives neues Feld ist die betriebliche Pflegeversicherung (bPV). In den Fokus rückte sie durch den bundesweiten Tarifabschluss eines Pflegegeldes für die Chemie- und Pharmabranche („CareFlex Chemie“). Seit 1. Juli bezahlt der Arbeitgeber dafür 33,65 Euro pro Monat und Mitarbeiter. Dafür wird es 300 Euro Pflegegeld pro Monat bei ambulanter Pflege geben und 1.000 Euro bei stationärer Pflege. Verantwortlich ist ein Konsortium von R+V und Barmenia. Außertariflich Beschäftigte können ebenfalls das Pflegegeld erhalten, wenn ihr Arbeitgeber das vereinbart, betont R+V.

Die Versicherer garantieren den kollektiven Beitrag sowie die Leistungen vorerst bis zum 31. Dezember 2023. Anpassungen des Beitrags oder der Leistungen sind ab 2024 möglich, wenn ein externer Treuhänder das nach Prüfung objektiver Rahmenbedingungen bestätigt. Genau das ist bei den privaten Pflegetagegeldversicherungen zahlreicher Versicherer im letzten Jahr häufig passiert – teilweise mit Beitragssprüngen von 20 Prozent und mehr. „Für die Tarifvertragsparteien ist entscheidend, dass sich diese Anpassungen nicht automatisch vollziehen, sondern eine Beitragserhöhung oder alternativ eine Reduzierung der Leistungen in jedem Fall der Zustimmung beider Tarifvertragsparteien bedarf“, sagt Petra Lindemann, Geschäftsführerin des Chemie-Arbeitgeberverbandes.

Auch außerhalb von Tarifverträgen tut sich was bei der bPV. So beinhaltet der Pflegetarif der Süddeutschen als obligatorische Leistung im Pflegefall für Firmen ein Pflegetagegeld zwischen 500 bis 1.500 Euro pro Monat (je nach Pflegegrad). Zusätzlich gibt es Services wie Hilfe bei Pflegegrad-Einstufung und Pflegeplatzsuche. Der Vorteil: Es gibt eine vereinfachte Gesundheitsprüfung, also wird nur gefragt, ob schon ein Pflegeantrag gestellt wurde beziehungsweise eine Pflegebedürftigkeit besteht. Der Nachteil: Das Angebot gilt nur für Firmen ab 20 Beschäftigten aufwärts und der Arbeitgeber zahlt kein Einheitsbeitrag, sondern der Beitrag berechnet sich nach dem Alter jedes Arbeitnehmers.  

Last but not least umfasst die Vorsorge vom Chef auch Gruppen-Unfallversicherungen für Mitarbeiter. Laut Lurse-Studie bieten über 90 Prozent der mittleren und großen Firmen betriebliche Unfallpolicen an, die am weitesten in der Geschäftsführung und im Management verbreitet sind. Zwei von drei Firmen, die Policen offerieren, tun dies für alle Mitarbeiter. Die Gothaer Versicherungen setzen immerhin 11,6 Prozent der Beitragseinnahmen des gesamten Unfallgeschäfts 2020 für Gruppenunfallpolicen um. Dennoch sind Gruppenunfallversicherungen regelmäßig am Ende der Absatz-Produkthitparade gewerblicher Versicherungen über Makler zu finden. Das liegt auch daran, dass die Police als freiwillige Sozialleistung regelmäßig mit der bAV und bKV im Wettbewerb steht. 

Fazit: Beide Seiten haben positive Effekte durch die Vorsorge vom Chef. Für Arbeitnehmer wird die Vorsorge verbessert. Dabei gewinnt insbesondere die bKV an Wert. Fachkräfte schätzen sie häufig mehr als eine Gehaltserhöhung, weil Kassenpatienten dadurch Zugang zur PKV bekommen, und das auch meist noch unentgeltlich, ohne Wartezeiten und trotz Vorerkrankungen. Für den Chef bringt das Imagegewinn und Wettbewerbsvorteile bei einfacher Implementierung im Unternehmen. Krankentage und Fluktuation gehen zurück und der Aufwand zählt zu den Betriebsausgaben. „Eine klassische Win-win-Situation“, findet Assekurata-Chef Will.

Cordula Vis-Paulus